Bei realitätsbezogenen Funktionen gibt es einen wichtigen Zusammenhang, den wir an folgendem Beispiel herleiten möchten.
Bei realitätsbezogenen Funktionen gibt es einen wichtigen Zusammenhang, den wir an folgendem Beispiel herleiten möchten.
Beispielzeitpunkt \(x=5\) \(f(5)=100\) \(\Rightarrow\) Der Fahrer fährt zum Zeitpunkt \(x=5\) mit einer Geschwindigkeit von 100\(\frac{km}{h}\). | Diese nicht besonders spannende Funktion soll die Geschwindigkeit eines Autofahrers in Abhängigkeit der Zeit angeben. Wie man sieht, beträgt die Geschwindigkeit konstant 100km/h - der Autofahrer fährt also zum Beispiel mit Tempomat. |
Beispielzeitpunkt \(x=5\) \(F(5)=100\cdot5=500\) \(\Rightarrow\) Der Fahrer hat zum Zeitpunkt \(x=5\) also \(500km\) zurückgelegt. | Falls die Ausgangsfunktion \(f(x)\) also eine Geschwindigkeit angibt, so gibt die Stammfunktion \(F(x)\) den zurückgelegten Weg an. |
Diesen Zusammenhang halten wir am besten sofort in einem Satz fest. Allgemein bedeutet Geschwindigkeit soviel wie Änderung des Bestandes - so bedeutet die Geschwindigkeit eines Autos etwa, wie sich der Weg ändert; so bedeutet die Wachstumsgeschwindigkeit etwa, wie sich die Größe ändert; und so bedeutet eine Zulaufrate etwa, wie sich die Höhe eines Wasserstands ändert (Beachte bei dieser Wortwahl erneut den Zusammenhang zu Funktionen: Die Ableitung gibt die Steigung, also genau die Änderung der Ausgangsfunktion an!).
Die Aufleitung der Änderungsrate gibt den Bestand an.
Falls \(f(x)\) die Änderungsrate eines Bestandes angibt,
so gibt \(F(x)\) den Bestand an.
Die Ableitung der Bestandsfunktion gibt die Änderungsrate an.
Falls \(f(x)\) den Bestand angibt,
so gibt \(f'(x)\) die Änderungsrate an.
Soweit so gut - betrachten wir wieder unsere Ausgangsfunktion \(f(x)=100\), um einen weiteren Zusammenhang festzustellen.
Geschwindigkeiten bei \(x=5\) und \(x=6\) \(f(5)=100\Rightarrow{P}(5|100)\) \(f(6)=100\Rightarrow{Q}(6|100)\) \(\Rightarrow{m}=\frac{100-100}{6-5}=0\) | Betrachten wir nun die Änderung der Ausgangsfunktion - also die Steigung von \(f\) - etwa an unserem Beispielzeitpunkt \(x=5\). |
Beschleunigung bei \(x=5\) \(f'(5)=0\) \(\Rightarrow\) Der Fahrer beschleunigt zum Zeitpunkt \(x=5\) also nicht. | Klar, da unser Fahrer seine Geschwindigkeit nie ändert (er fährt ja konstant 100km/h), ist die Beschleunigung die ganze Zeit 0. |
Gut, halten wir das auch in einem Satz fest.
Die Ableitung der Änderungsrate gibt die Beschleunigung an.
Falls \(f(x)\) die Änderungsrate eines Bestandes angibt,
so gibt \(f'(x)\) die Beschleunigung an.
Beachte: Beschleunigung ist die Änderung der Geschwindigkeit!
Es ist bei realitätsbezogenen Funktionen also extrem wichtig, was die Ausgangsfunktion, also \(f(x)\) angibt! Gibt \(f\) die Geschwindigkeit an, so gibt \(F(x)\) den Bestand und \(f'(x)\) die Beschleunigung an.
Wird mit \(f(x)\) allerdings der Bestand angegeben, so verschiebt sich praktisch alles nach unten - jetzt gibt \(f'(x)\) die Geschwindigkeit, und \(f''(x)\) die Beschleunigung an.
f(x) gibt die Geschwindigkeit an \(\Rightarrow{F}(x)\text{ in }km\) (Bestand) \(\Rightarrow{f}(x)\text{ in }\frac{km}{h}\) (Geschwindigkeit) \(\Rightarrow{f}'(x)\text{ in }\frac{km}{h^2}\) (Beschleunigung) f(x) gibt den Bestand an \(\Rightarrow{f}(x)\text{ in }km\) (Bestand) \(\Rightarrow{f}'(x)\text{ in }\frac{km}{h}\) (Geschwindigkeit) \(\Rightarrow{f}''(x)\text{ in }\frac{km}{h^2}\) (Beschleunigung) | Sofern die Ausgangsfunktion also Geschwindigkeiten angibt (das ist im Abitur btw. zu 90% der Fall), so gibt die Stammfunktion den Bestand, und die Ableitung die Beschleunigung an. Falls die Ausgangsfunktion jedoch bereits den Bestand angibt, so gibt die Ableitung die Geschwindigkeit, und die zweite Ableitung die Beschleunigung an. |
Weil der Zusammenhang so wichtig ist, noch einmal auf Deutsch: Die Änderung des Weges ist die Geschwindigkeit und die Änderung der Geschwindigkeit ist die Beschleunigung. Mathematisch heißt das:
\(\text({Weg})'=\text{Geschwindigkeit}\)
\(\text({Geschwindigkeit})'=\text{Beschleunigung}\)
Andersrum ist die Summe der Geschwindigkeiten der Weg, bzw. die Summe der Beschleunigungen die Geschwindigkeit.
\(\int\text({Geschwindigkeit})=\text{Weg}\)
\(\int\text({Beschleunigung})=\text{Geschwindigkeit}\)
Zum Schluss betrachten wir noch einmal eine Geschwindigkeitsfunktion (hier eine Zulaufrate einer Badewannenfüllung - beachte die Ausgangsfunktion \(f(x)\) in der Mitte des Bildes). Dass es sich um eine Geschwindigkeitfunktion handelt, erkennt man am einfachsten an der Einheit, hier Liter pro Stunde, bzw. insbesondere am pro Stunde (wäre \(f(x)\) in Litern, gäbe die Ausgangsfunktion einen Bestand an). Da \(f\) also eine Änderungsrate angibt, wird der Bestand mit \(F\), und die Änderung der Geschwindigkeit (die Beschleunigung) mit \(f'\) bestimmt. Wann ist die Zulaufgeschwindigkeit am größten? Da \(f\) die Geschwindigkeit angibt, ist diese natürlich im Hochpunkt der Funktion am größten - also etwa bei \(x=1,8\), beim roten Strich. Betrachten wir die Stammfunktion, so erkennen wir am selben Zeitpunkt eine Wendestelle. Das ist so, da Wendestellen stets extreme Steigung innehaben, und wenn die (Zulauf-)Geschwindigkeit am größten ist, ändert sich der Bestand maximal schnell. Schließlich erkennen wir in der Ableitung (der Beschleunigungsfunktion) eine Nullstelle, wobei die Beschleunigung vor der Nullstelle positiv, und nach der Nullstelle negativ ist (\(f'\) ändert sein Vorzeichen bei \(x\approx1,8\) von positiv nach negativ. Auch das ist im Zusammenhang richtig, denn so lange meine Beschleunigung positiv ist, erhöhe ich ja meine Geschwindigkeit - erst, wenn ich anfange zu bremsen (wenn ich das Vorzeichen ändere), verringer ich sie wieder. Zum Zeitpunkt des Vorzeichenwechsels der Beschleunigungsfunktion ist die Geschwindigkeit also am größten (übrigens ist das das Vorzeichenwechselkriterium der ersten Ableitung für Hochpunkte). Wann wird Wasser weder ein- noch ausgelassen? Damit kein Wasser fließt, muss die Geschwindigkeit null sein - es handelt sich also um die Nullstellen von \(f\) (der lilane und orangene Strich). Auch an der Bestandsfunktion kann man die Stellen ohne Zulaufgeschwindigkeit erkennen - wenn die Geschwindigkeit null ist, ändert sich der Bestand nicht. Wir suchen also Stellen mit der Steigung null (und das ist in Hoch- und Tiefpunkten ja der Fall). Im Übrigen erkennt man hier die notwendige Bedingung für ESTs - die Steigung in Hoch- und Tiefpunkten ist null. Schließlich läßt sich die Frage nach Zeitpunkten ohne Geschwindigkeit mit der Beschleunigungsfunktion nicht beantworten (wir erkennen am lila und orangenen Strich bei \(f'\) keine besondere Punkte). PS: Wir haben den grünen Strich vergessen: Hier ist die Geschwindigkeit am größten negativ (es wird Wasser maximal schnell ausgelassen) - der Zusammenhang ist also analog zum roten Strich. Beachte dazu noch einmal die zugehörige Wendestelle bei \(F\) (diesmal mit maximaler negativer Steigung), sowie die Nullstelle, bzw. wichtiger noch den Vorzeichenwechsel in der Ableitung (jetzt von minus nach plus). |
Wie man sieht, kommt es bei der Beantwortung der Fragen also darauf an, welche Funktion man vorliegen hat. Betrachten wir dazu noch eine letzte Frage zu dieser Funktion.
Entscheiden Sie, ob es einen Zeitpunkt gibt, an dem wieder genausoviel Wasser in der Badewanne ist, wie zu Beginn! Betrachten wir zuerst die Geschwindigkeitsfunktion in der Mitte. Da hier nun aber nach dem Bestand (nach Litern Wasser) gefragt ist, betrachten wir die Flächen unter \(f\). |
© Christian Wenning
Was ist das KeinPlanPrinzip?